Aya Onodera - Mythos

Aya Onodera ­– Mythos

by Anna-Louise Kratzsch

 

 

Wenn man als Fremde schreibt, hat es etwas Positives. Man wiederholt nicht das Übliche. Und trotzdem ist es nicht leicht mit europäischem Auge auf japanische Werke zu blicken. Was da gefällt und nicht gefällt, lässt sich plötzlich nicht mit Gewohntem, dem westlichen Kunstverständnis vergleichen.

 

Die japanische Malerin Aya Onodera nennt ihr Werk „ Mythos“. Mit westlichem Auge gesehen, erinnern ihre Bilder an das gemalte Herbarium des prachtvollen Gartens von Eichstätt oder an die Stiche der Maria Sibylla Merian. Floral, abstrakt, verschlungen reihen sich ihre Arbeiten in kleine Zyklen, die einer Bewegung folgen, einer Farbe oder einer Linie. Sie sind verschlüsselt. Es beginnt eine Reise zwischen erotischen Formen und fleischigen Farben, zwischen Ernst und Spiel.

 

Aber was ist ein Mythos? Aus dem Griechischen entlehnt, kann es sich um eine überlieferte Dichtung, eine Sage oder eine Erzählung aus der Vorzeit eines Volkes handeln. Thematisch befasst sich der Mythos mit Göttern, Dämonen, der Entstehung der Welt und der Erschaffung des Menschen.

 

Japaner sehen anders. Als der Psychologe Richard E. Nisbett eine animierte Unterwasserszene seinen amerikanischen Studenten zeigte, sahen alle Befragten einen großen Fisch unter vielen kleinen. Japanische Betrachter kommentierten jedoch das Geschehen im Hintergrund. Es gibt also Wahrnehmungsunterschiede zwischen West und Ost. Asiaten sehen die Dinge anders wie wir.  Wer anders sieht, hält auch anders fest. Menschen denken und sehen ihre Welt auf Grund ihrer eigenen Umwelten, sozialen Gegebenheiten, Philosophien und Bildung verschiedenartig, die nach E. Nisbett auf unsere Vorgängerkulturen wie die griechische Antike oder das alte China zurückzuführen sind.

 

Oft ist es einsam so weit entfernt von Japan. Aya Onoderas Leben gleicht einer langen Reise, der Odyssee. Sie kam nach Deutschland, um eine erfolgreiche Malerin zu werden, in der Absicht, als solche erst wieder in die Heimat zurück zu kehren. Drei Jahre lang lebt und arbeitet sie nun in der Fremde, lernte hier eine für sie neue Sprache und Kultur kennen. Wie hat sich ihre Wahrnehmung verändert? Wie lebt es sich zwischen den Kulturen?

 

Die Malerin ruft in ihren Bildern einst Gesehenes wieder hervor. Dinge, die zurückliegen. Gesehen, empfunden, gespeichert. Abstrakt erscheinen sie aus der Erinnerung. Ein „Mythos“ bewahrt verloren geglaubtes auf. Wünsche, Träume, Hoffnungen. Vertrautes, das Aya Onodera hier in der Fremde nicht finden kann. Ihr Werk ist wie ein Kompass, gibt Orientierung und erzählt von einer anderen Kultur, ihrer Kultur.

 

Tanizakis Jun’Ichiros Werk ‚Lob des Schattens’, ein Entwurf und Essay einer japanischen Ästhetik aus dem Jahre 1933, gibt erste Auskunft über ein uns ebenso fremdes Land. Man sei viel eher von der Sauberkeit dessen, was man sieht, zur Gedankenübertragung angeregt als von dem, was unsichtbar bleibe, so der Autor. Es mache sich besser, solche Orte in ein verschwommenes Halblicht zu tauchen und den Grenzbereich, von dem an es sauber oder weniger sauber werde, im Unklaren zu lassen. Die Sichtbarkeit von Spuren sei die Geschichtlichkeit der Dinge, ihre Patina ihr Glanz.

 

Selbst in der japanischen, zeitgenössischen Künstlerschaft sind es nicht wertvolle Papiere wie das ‚hanshi’, das Japanpapier für die Pinselschrift, die Verwendung finden. So benutzt auch Aya Onodera viel lieber Leinwand und Ölmalfarben, Kreiden und gewöhnliche Papiere westlichen Standards. Mai  Yamashita und Naoto Kobayashi arbeiten mit Aktion und Video.  Und auch ein ‚Halbdunkel’ ist in lichtdurchfluteten Städten wie Tokio nicht mehr zu finden. Die japanische Lebenswelt ist westlich geprägt.

 

So ist auch die traditionelle, japanische Ästhetik fast gänzlich verloren gegangen. Ersetzt durch Spots, Mangas und schillernde Spiele. Einst sei jedoch die ‚Dunkelheit’ (gedämmtes Licht) eine Bedingung um Schönheit zu erfahren gewesen. Beispielsweise eine Lackarbeit zu genießen. Im Kerzenschein erkenne man den ‚Pulsschlag der Nacht’, so Tanizakis Jun’Ichiros. Das erscheint uns mit dem kunsthistorischen Gepäck eines Caspar David Friedrichs nicht fremd zu sein.

 

Im N0, der ältesten Form des japanischen Theaters, des 14./ 15. Jahrhunderts treten beispielsweise nur Gesicht, Hals, Nacken und die Hände bis zum Gelenk unbedeckt hervor. Alles andere verschwindet in einem ‚Halbdunkel’. Auch die damaligen Frauen der Edo-Zeit trugen erstaunlich schlichte Sachen. Die Kleidung war ein Teil des Dunkels, ein Verbindungsstück zwischen Gesicht und Dunkelheit. Bis 1890, in der Meiji-Ära, waren die Häuser eher düster gebaut und die darin im Dämmerlicht nähenden Frauen hatten darüber hinaus ihre Zähne geschwärzt, um den Kontrast noch zu verstärken.

 

„Wir Orientalen haben nun einmal die Tendenz, in an sich unbedeutenden Orten Schattenwirkungen entstehen zu lassen und dadurch Schönheit hervorzubringen.“  Frauen in den vergangenen Epochen waren nicht vom Dunkel zu trennen. Was unsichtbar bleibt, erachten wir als nicht vorhanden, gerade wie wenn ein Licht von hundert Kerzen auf die Wandnische eines Teeraums gerichtet werden würde. Damit ginge alle Schönheit verloren.

Der Hang, sich am Schatten zu ergötzen, sei japanisch. Selbst westliche Gespenster würden hell aufscheinen, japanische Schattenfiguren seien schwarz.

 

Es sei japanische Art, die Umstände, in die die Japaner einbezogen seien, zu akzeptieren und sich mit den jeweiligen Verhältnissen zufrieden zu geben. Deshalb störe sie das Dunkel nicht. Sie würden es als etwas Unabänderliches hinnehmen. Demgegenüber seien die Menschen des Westens ständig auf der Suche nach besseren Verhältnissen. Sie würden unabänderlich nach Helligkeit streben. Natürlich setze sich niemand Verhältnissen aus, die ihn hässlich machen.

 

 Und so hat die Natur den westlichen Menschen hellfarbene Haare, den Asiaten schwarze gegeben. Dass heißt, die Natur selbst lehrte den Japanern das Gesetz der Dunkelheit. Die Alten folgten unbewusst diesem Gesetz, um ein gelbes Gesicht weiß aufscheinen zu lassen, weil sie es als schön empfanden. Bis heute schützen sich die Asiaten vor dem Sonnenlicht. Vielleicht liegt es an der langen Tradition des ‚Halbdunkels’, das auch in den Theaterstücken und Performances dieses Festivals die Dinge in einem anderen Licht aufscheinen lassen wird, eben anders,  als wir es gewohnt sind.